Noise: Anti-Struktur, Formlosigkeit, Welthaltigkeit und ihre Politik

Noise soll in diesem Seminar in mindestens drei Bedeutungen und vor allem deren Überschneidungen thematisiert werden. Zum einen nennt die Informationstheorie und die auf ihr basierenden Vorstellungen von Kommunikation das Unverständliche, dasjenige, das die Kommunikation, die Signalübertragung stört oder nach ihrem Zusammenbruch an dessen Stelle getreten ist, Noise. Zweitens ist Noise eine Kunstform im Bereich der klanglichen Künste, die sich entweder als eigenständige Praxis versteht (z.B. Merzbow) oder als einen Aggregatszustand oder eine Spielart einer schon bestehenden Praxis, die diese aber an eine Grenze führt oder radikalisiert (Free Jazz, Feedback im Rock, Industrial etc.), insbesondere in Praktiken, die sich nicht mehr einer musikalisch verstandenen Klanglichkeit verpflichtet fühlen, sondern von der Bildenden Kunst, bzw. der Sound Art kommen. Die dritte Bedeutung schließlich sieht in Noise einen Grad der Intensität, der Aggressivität und der Konfrontation, der den Moment beschreibt, wo kulturelle und künstlerische Praktiken mit Widerstandshandlungen zu tun bekommen oder in solche übergehen. Buchtitel wie „Queer Noises“, „Black Noise“ oder auch Jacques Attalis Klassiker „Noise“ beziehen sich nicht auf bestimmte Stile, Praktiken und Traditionen, sondern die notwendige Noise-Grenze jeder Politik des Klanglichen.

In einer ersten Phase würden wir uns mit einzelnen historischen Phänomenen beschäftigen (Musique concréte, Cage, Maryanne Amacher, Free Jazz, Industrial, Noise Rock, Japan Noise uvm), in einer zweiten mit den zeitgenössischen Ideen und Praktiken und schließlich in einem dritten Teil generell zu Fragen zu einer Ästhetik der Konfrontation zu kommen – möglicherweise wird das in zwei auf einander folgenden Semestern geschehen


Univ.-Prof. Diedrich Diederichsen